Kalkkreislauf

Kalk, ein wichtiger Baustoff seit tausenden von Jahren.
Seit Urzeiten brennt der Mensch Kalkstein und verarbeitet ihn zu einem hochwertigen Baustoff.

Auf dieser Seite gibt es einen kleinen Beitrag, wie im Altertum Kalk gebrannt wurde.
Dazu ein Artikel aus der "Berliner Zeitung"



Datum: 30.07.1997
Ressort: Wissenschaft
Autor: Angela Volkner

Kalk brennen wie bei den Germanen

Wie ein Berliner Archäologe mit einer ungewöhnlichen Methode die handwerklichen Fertigkeiten der Vorfahren erkundet. Der blonde Mann gräbt eine trichterförmige Grube in den Sand, stabilisiert Wände und Boden mit Steinen und Lehm und baut ein Gewölbe aus Kalksteinen darüber. Er bedeckt die Konstruktion mit Baumstämmen und dichtet sie mit Lehm ab. Dann legt er Feuer unter das Gewölbe, sorgt dafür, daß es 20 Stunden lang brennt und mißt regelmäßig die Temperatur in seinem Bauwerk. Sämtliche Vorgänge dokumentiert er mit Fotoapparat und Videokamera. Am nächsten Tag holt er die Kalksteine heraus und gießt Wasser darüber. Es zischt, und die Steine lösen sich in einen weißen Brei auf. Wer Mitte Juni diese Aktion im Freilichtmuseum "Langobardenwerkstatt Zethlingen" in Sachsen-Anhalt beobachtete, hat nicht etwa eine neue Form des Abenteuerurlaubs kennengelernt, sondern ist Zeuge eines wissenschaftlichen Experiments geworden. Kay-Uwe Uschmann unternahm im Rahmen seiner Dissertation im Fach "Ur- und Frühgeschichte" an der Humboldt-Universität Berlin ein für Deutschland bislang einzigartiges Experiment. Er versuchte, in einem originalgetreu rekonstruierten germanischen Ofen aus der römischen Kaiserzeit Kalk zu brennen. Das archäologische Experiment hatte das Ziel, den Verwendungszweck von 350 Brenngruben, die in den vergangenen 150 Jahren bei Ausgrabungen im deutschen und polnischen Raum entdeckt worden sind, eindeutig zu klären. Uschmann konnte durch seinen Brennversuch nachweisen, daß die ausgegrabenen Öfen aus der Zeit zwischen dem dritten Jahrhundert vor Christus und dem vierten Jahrhundert nach Christus sich für die Herstellung von sogenanntem Branntkalk eigneten. Die weitverbreitete Theorie, es handele sich bei den Brenngruben um Backöfen, wurde dadurch erschüttert. Als Vorbild für den Brennofenbau diente ihm ein Fundstück aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus, das schon Ende der fünfziger Jahre im Schloßpark Bellevue archäologisch gesichert und dokumentiert worden war. Dieser Kalkofen entspricht den gängigen Brennanlagen, die die Germanen in der römischen Kaiserzeit benutzten. Seit der Antike ist das Kalkbrennen als menschliche Fertigkeit dokumentiert. Die Germanen nutzten Branntkalk für das Tünchen der Lehmwände. Dies ist durch Beschreibungen des antiken Autors Tacitus und archäologische Befunde gesichert. Außerdem wurde der Kalk bei der Lederverarbeitung, in Heilverfahren zur Behandlung von Geschwüren, für das Färben der Haare sowie zur Entbitterung von Eicheln für den Verzehr eingesetzt. Vermutlich verwendeten die Germanen den Kalk auch zur Seifenherstellung und, wie neueste Forschungsergebnisse aus Polen nahelegen, auch im Totenkult. So fand man in dem ostgotischen Gräberfeld "Grodek am Bug" mit Kalkmilch bemalte Baumsärge. All dies zeigt: Die Germanen hatten einen hohen Bedarf an Kalk. Mit seinem Brennversuch konnte Uschmann nachweisen, daß sie auch in der Lage waren, diesen Bedarf zu decken. Trotz ausführlicher Literaturrecherchen war es für Uschmann nicht einfach, dieses Experiment zu planen. So wußte er am Anfang nicht genau, wieviel Kalkstein er für einen Brenngang benötigen würde. Unklar war auch, wie aus den Steinen ein tragfähiges Gewölbe entstehen sollte. Fraglich war darüber hinaus, wie viele Abluftöffnungen erforderlich sein würden und wie lange das Feuer brennen muß, damit Branntkalk tatsächlich entsteht. Uschmann wußte lediglich, dass er Temperaturen um 900 Grad Celcius erzielen mußte. Bei dieser Hitze wird der Kalkstein in Calziumoxid umgewandelt und ergibt damit Branntkalk. Gibt man anschließend Wasser zu, reagiert der gebrannte Kalk zu Kalziumhydroxid; es entsteht gelöschter Kalk. Bereits beim ersten Brennversuch gelang es dem Frühgeschichtler, die notwendige Temperatur zu erreichen und eine Kalkmenge herzustellen, die für das Streichen einer großen Hauswand ausreicht. "Uschmanns Experiment vertieft unser Wissen über die technischen Fähigkeiten der Germanen", sagt Achim Leube, Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Humboldt-Universität. Solche Versuche sind in Deutschland bis Anfang der neunziger Jahre für Archäologen eher eine Ausnahme gewesen. Während die Wissenschaftler in den angelsächsischen Ländern, Frankreich und Skandinavien ihr Wissen um frühgeschichtliche Lebensweisen schon seit Jahrzehnten durch Experimente erhärten, tun sich hierzulande immer noch viele Forscher schwer, mit dieser naturwissenschaftlichen Methode archäologisches Neuland zu betreten. "Die experimentelle Archäologie wird von einigen Fachkollegen als Spinnerei abgetan", klagt Rosemarie Leineweber vom Landesamt für Archäologie in Halle. Leineweber rekonstruiert seit 1990 eine germanische Siedlung in der "Langobardenwerkstatt Zethlingen" und unterstützte die Bemühungen Uschmanns. "Am Schreibtisch kann man viele Ideen haben, aber damit läßt sich archäologisch nichts beweisen", begründet sie die Wichtigkeit solcher Experimente. Das archäologische Experiment ist für die Ur- und Frühgeschichte ein grundlegendes Hilfsmittel, Erkenntnisse zu gewinnen. Es kann den Wissenschaftlern beispielsweise dabei helfen, herauszufinden, wie die Vandalen hausten, ob die Langobarden Brot aßen oder wie die Germaninnen sich die Haare hellrot färbten. Ein Teil des heutigen Wissens über das Leben unserer Vorfahren sei der Überlieferung lateinischer Texte zu verdanken, so Uschmann. Doch vieles aus dem Alltagsleben der damaligen Zeit haben die Römer nicht beschrieben. Die Germanen selbst hatten keine Schrift. Der Ur- und Frühgeschichtler, der sich mit Zeiträumen auseinandersetzt, über die es keine schriftlichen Überlieferungen gibt, muß also andere Wege einschlagen, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen. Neben der Ethnoarchäologie, die Fundstücke durch Vergleiche mit heute bei "Naturvölkern" noch zu findenden Techniken deutet, ist die experimentelle Archäologie eine wichtige Wissensquelle. Doch sie wird in der Ausbildung immer noch stiefmütterlich behandelt. "Viele Archäologen haben einfach nicht das technische Know-how für solche Experimente", sagt Achim Leube. Um so mehr unterstütze er das Vorhaben Uschmanns. Für den Professor sind ausgefallene Projekte wie dieses natürlich auch eine Möglichkeit, die besondere Qualität von Forschung und Lehre am Institut für Geschichtswissenschaften zu dokumentieren. Der Praxisbezug, den Uschmann mit seinem archäologischen Experiment herstellt, liegt nicht nur im wissenschaftlichen Trend. Auch für seine spätere Berufstätigkeit erhofft sich der Archäologe dadurch einen Vorteil. Denn die Aussichten auf Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter innerhalb des Fachbereichs sind eher dürftig. Was bleibt, ist eine Anstellung in einem Museum oder bei einer privaten Archäologiefirma. Solche Unternehmen werden hinzugezogen, wenn bei Baumaßnahmen Gegenstände von archäologischer Bedeutung gefunden werden. Bezahlt werden die Ausgrabungen übrigens vom Bauherrn und dem zuständigen Amt für Bodendenkmalpflege. Schon heute gilt Kay-Uwe Uschmann durch seine Forschungen als Spezialist für germanische Brennöfen und wird von privaten Firmen gerufen, wenn wieder mal ein Bagger auf eine Grube mit Steinkranz trifft.

Als Ergänung zu obigem Artikel zeigt die folgende Skizze einen Brennofen, wie ihn die Römer im 1. oder 2. Jahrhundert n.Chr. betrieben haben. Er wurde 1958 in Berlin ausgegraben. Der Brennraum bestand aus einer 60 - 70cm tiefen Grube mit einer Ummauerung aus Lehm und Feldsteinen. Er konnte mehrfach hintereinander genutzt werden.


 

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